sichtwechsel
das alter wirft seine schatten voraus. zum beispiel indem sich diese spezielle fehlsichtigkeit bemerkbar macht. natürlich kann man die eine weile ignorieren. man muss ja nicht in der dämmerung oder bei schummerbeleuchtung lesen. und das kleingedruckte oder beipackzettel von medikamenten - wen interessiert das schon. die speisekarte beim candlelight-dinner: neglektabel (oder wie man sagt). mag sein, dass sich der sehleistungsschwund auch ein bisschen aufschieben lässt durch einsatz von erfahrung und phantasie. irgendwann zeigt sich dann aber doch, dass die fehlinterpretationen zunehmen, und dann wird‘s zeit für die erste sehhilfe. sowas sieht zwar aus wie eine brille, ist aber eine art wegwerfartikel, den man wie regenschirme auch, fast überall erstehen kann und den man entweder irgendwo in der gegend rumliegen hat oder irgendwo anders, jedenfalls nicht auf der nase, mit sich rumträgt. aber wie viele man auch davon hat, wenn's drauf ankommt, ist gerade keines der dinger greifbar.
da hat man dann eine ausführliche wegbeschreibung in irgendein kaff, außer 'rechts' und 'links' lässt sich aber so gut wie nichts entziffern. schilder, die man wunderbar lesen könnte, gibt‘s erst am ortseingang oder allenfalls an der einzigen straße, die zu diesem ort führt. straßenkarten braucht man gar nicht zu versuchen, ohne sehhilfe erfasst man die ja nur noch dann, wenn man ungefähr weiß, was da stehen könnte. fragen, ja natürlich könnte man jemanden fragen, wenn da jemand wäre, aber hier in der walachei gibt's keine tankstelle, keinen kleinen laden, keinen einsamen spaziergänger, der sich zufällig auch noch auskennt. schöne gegend immerhin (ziemlich grün, günstiges bauland, viele parkplätze, erstaunliche bezeichnungen) - da kann man ruhig mal ein bisschen rumfahren... ah endlich, ein traktor, der sogar anhält. man nennt den ortsnamen und erfährt: alles ganz falsch. viel mehr begreift man nicht und das bisschen wird mit jedem weiteren satz unklarer. man bedankt sich, fährt zurück undsoweiter. auf unerklärliche weise kommt man dann doch noch an, bewundert haus und grundstück sowie kaffee und kuchen. zur rückfahrt entschließt man sich am besten vor alkohol und einbruch der dunkelheit, will auch lieber noch einen blick in die karte werfen, leiht sich zu diesem zweck kurz die brille des gastgebers und siehe da, die eigene findet sich als lesezeichen im straßenatlas eingeklemmt. und gebraucht hätte man rein gar nichts: der weg raus aus den dörfern, hin zur autobahn, ist ganz wunderbar ausgeschildert. sieht schon ein bisschen so aus, als ob man die zugereisten ganz schnell und auf direktem wege wieder loswerden wollte.