"private collection"

nah- und ferngespräch

ach, herr pfarrer, dazu fällt mir nun wirklich nichts ein. und wer ist denn hier der gelernte seelentröster, ich doch nicht! natürlich haben Sie alles richtig gemacht oder zumindest nichts falsch. aber was heißt das schon, doch nur, dass Sie den meisten ein bisschen mehr leid tun als andere. und beim "du" waren wir auch schon, ja, wenn mir jetzt nur der vorname einfiele. aber wahrscheinlich ist der genauso blöd wie der doppelname, mit dem Sie herumlaufen und der schon in so vielen varianten in der presse aufgetaucht ist, dass ich nichtmal sagen könnte, wie man ihn richtig schreibt. ach so, ja, klar, ich war mit Ihrer frau im kino, und ja, ich kenne die geschichte - schon lange, wenn es von belang sein sollte. aber nein, ich habe ihr natürlich zu nichts geraten, nichtmal dazu, mit offenen karten zu spielen. aber es war abzusehen. die frau ist jetzt zwanzig jahre (oder mehr?) mit einem farblosen typen verheiratet, sie hat sich die stelle mit Ihnen geteilt, Sie haben die kinder großgezogen, während sie alle möglichen kirchlichen projekte im in- und ausland angeleiert hat. auch die kinder sind nach Ihnen geraten, nicht eins davon nach ihr. nein, nein, natürlich ist das kein vorwurf, wer käme denn auf so eine idee, aber es ist alles so entsetzlich lahm und öde, dieses blöndlich-gräulich schlaffe, wer erträgt das schon auf dauer. und das wohnen im pfarrhaus und die zwergkaninchen und die folklore-deckchen überall, das reicht dann auch mal. ja, heile welt, und das war auch nicht unbedingt Ihre idee, das hab ich schon vestanden. und dann lief ihr dieser typ über den weg, nein, nicht jünger, wenigstens das, erheblich älter sogar und "schwierig", nie verheiratet gewesen, mit kindern und haustieren so gar nichts am hut. und nun will sie es plötzlich nochmal wissen. leidenschaft. mit einem sprössling aus dieser großen familie des widerstands, damals. eine familie, über deren geschichte sie promoviert. jetzt, in ihrem alter. wozu das alles?

oh, tut mir leid, es ist schon spät, ich muss mich leider verabschieden. ja, ein glas wein zusammen, ja, vielleicht, ein andermal. alles gute für Sie! bis dann!

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