sie fuhr dann doch nicht. sie hatte allerdings nicht nur einmal mit dem gedanken gespielt, sich nach rom bringen zu lassen, es waren nicht mehr als 80 km, und dann mit dem nachtzug zurückzufahren. aber wenn man erst einmal am meer ist, fährt man nicht einfach so nach hause. sie waren ja auch gerade erst angekommen und was hätte sie ihm schon sagen können? etwa: du, ich mag dich nicht mehr, du bist mir unangenehm, so wie du dich hier bei deinen freunden gibst. dieses schickeria-bayrisch, in dem du als norddeutscher plötzlich ganz 'zwanglos' daherredest, klingt einfach nur widerlich. nein, das brachte sie nicht über die lippen. wenn sie nicht schwamm, saß sie also zwischen den anderen, schaute in ihr buch und ließ ihre abneigung gegen diese münchner medienclique wachsen. sie genoss den blick zum horizont, manchmal betrachtete sie auch ungeniert den alten mann, der da vorne am meer saß und ganz ruhig mit seiner kleinen tochter spielte. ein idyllisches bild, auch wenn ihr - je länger sie schaute - der mann zu alt für das kind bzw. das kind zu jung für den vater erschien. gerne hätte sie die mutter dazu gesehen, denn das kleine mädchen war mit seinen großen schwarzbraunen augen zu dunkel und auch zu schön, um nach ihm zu kommen. sie dachte sich geschichten aus. familiengeschichten. und wie enttäuscht war sie, als er plötzlich nicht mehr da saß. die anderen kannten ihn durchaus, aber sie konnte sich ja wohl schlecht nach ihm erkundigen, sie selbst hatte nie auch nur ein wort mit ihm gesprochen. die tage vergingen, wenn sie ehrlich war, fuhr sie nur noch mit ans meer, um zu schauen, ob er da wäre. aber er kam nicht mehr. als ihr begleiter von abreise sprach, war sie fast erleichtert. sie sagten es den anderen, am übernächsten morgen würden sie fahren. den nächsten tag verbrachten sie mit einkäufen, am nachmittag begannen sie zu packen. dann erreichte sie die nachricht. seine tochter sei nun wieder gesund und er würde sich freuen, wenn sie noch auf ein glas wein vorbeikämen. er gebe ein kleines fest, zu dem sie herzlich eingeladen seien. das haus seines bruders wäre nicht leicht zu finden, die freunde sollten voranfahren. es ging höher in die berge. immer höher. plötzlich bog ein kleiner unscheinbarer weg von der straße ab. vielleicht 500 m und sie waren da. ein irrsinnig grünes, fast unnatürlich üppiges grundstück, sicherlich eins der schönsten, die sie jemals gesehen hatte. terrassenartig angelegt, auf der mittleren das haus, ein altes italienisches bauernhaus, mauern, die wände zum teil weiß verputzt. alles sehr großzügig und dennoch sehr einfach, fast spärlich möbliert. fensterläden, ein großes scheunentor als eingang direkt zum wohnraum. sie rührte sich nicht von der stelle, sie staunte, sie blickte sich um. sie war ganz allein, alle anderen hatte es zum buffet gezogen. er kam mit einem glas weißwein, so kalt, dass das glas beschlagen war. ob sie nichts essen wolle? natürlich nicht. wie hätte sie jetzt essen können... sie wollte sich nur sattsehen. auf der unteren terrasse befand sich eine art nutzgarten: wein, pfirsiche, oliven, auch tomaten, rosmarin und andere kräuter, sogar himbeeren - alles, was dem herz einfallen würde zu begehren. auf der mittleren die dinge zur zierde des hauses. bäume, stauden, kübel, ranken und weiße mauern, diese teilweise nur errichtet, um schatten zu spenden. die obere terrasse eine riesige wiese, hecken, auch ein paar bäume: obst, oliven, zypressen. das gestell eines messingbetts mittendrin. er kam wieder. sie könne sich gerne auch im haus umschauen. ob er ihr etwas zeigen solle. sie gab sich als dorfkind zu erkennen, sie wollte nur wissen, wer das alles bewirtschafte. die italienische bauernfamilie, von der sein bruder das haus gekauft hatte... sie ernteten und verarbeiteten das, was die neuen besitzer nicht verbrauchten. ein bisschen was davon stellten sie dann wieder zur verfügung. eingelegte oliven, marmeladen, wein. das geschah einfach so. darüber war nicht großartig gesprochen worden. später schaute sie sich das haus an. in der oberen etage einfache schlafräume, stühle als nachttische, kommoden in weiß, türkis oder hellem holz. ein raum mit großem spiegel und stangen für die kleider und einer nische für die koffer. so einfach alles, so schön. auch wenn sie es vorher nicht gewusst hatte: genau so sollte alles sein.
nein, sie reiste nicht ab am nächsten morgen. sie war ja gerade erst ankommen. sie ging auch an diesem abend nicht mehr. ihre tasche konnte man ihr genausogut bringen. sie suchte sich eins der zimmer aus und blieb weitere acht wochen. ein paar bücher hatte sie ohnehin dabei, andere wurden ihr geschickt, so konnte sie ihre diplomarbeit schreiben. als sie ende september in deutschland ankamen, war es herbst geworden.