onkelehe
ein begriff, den ich längst vergessen hatte, der aber in meiner jugend gang und gäbe war. in einer solchen verbindung nennen die kinder (der frau) den partner ihrer mutter nicht vater, sondern onkel. vor allem in der nachkriegszeit wollten frauen die ihnen zuerkannte witwen- und waisenrente nicht durch eine neue eheschließung gefährden. weitere kinder waren zu vermeiden, denn sie hätten wie andere uneheliche kinder "keinen namen" - also nicht den nachnamen eines mannes - gehabt. insofern unterschied sich die onkelehe durchaus von der sogenannten "wilden ehe", in der die kinder aus dieser oder einer früheren nicht-ehelichen gemeinschaft stammen.
in dem kleinen dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat es jahre gedauert, bis man als kind diese zusammenhänge begriff, denn über "sowas" wurde auf keinen fall offen gesprochen. meine beste freundin lebte in äußerst "unklaren" verhältnissen. ihre mutter war sehr jung schwanger geworden, noch dazu gleichzeitig mit ihrer eigenen mutter, sodass deren sohn faktisch der onkel meiner freundin war und es sich schon als kleiner junge gefallen lassen musste, von dummen leuten und deren kindern "onkel" genannt zu werden. diskriminieren wollte man aber in erster linie das kleine unehelich geborene mädchen, das aus praktischen erwägungen von der großmutter mit aufgezogen wurde. über ihren vater wurde nie etwas bekannt, zumal man auch keinerlei ähnlichkeiten mit einem der dorfbewohner feststellen konnte. ihre mutter lebte später mit einem italiener zusammen, dem ersten gastarbeiter, den wir zu gesicht bekamen. mit ihm hatte sie zwei weitere töchter. er blieb in diesem dorf, eine heirat kam nicht infrage, weil er in italien eine ehefrau mit kindern hatte, denen er regelmäßig geld schickte. meine freundin saß also zwischen sämtlichen stühlen und es fiel uns ziemlich schwer, die verhältnisse zu klären, zumal auch noch konfessionelle aspekte in dem ewigen getuschel eine rolle spielten.
in meiner erinnerung hielt sie sich tag und nacht bei uns zuhause auf. den italiener konnte sie nicht leiden, im haushalt der großmutter ging es recht beengt zu und es waren auch mehr als genug eigene kinder da, die versorgt werden mussten. meine eltern hielten sich zudem fern von jeglichem dorftratsch, sodass sie sich bei uns aufgehoben fühlte. mein vater - darauf angesprochen, ob die freundin der richtige umgang für mich wäre - pflegte die leute mit einer für ihn typischen abwehrenden handbewegung wieder nach hause zu schicken, ohne auch nur ein wort dazu zu sagen. allerdings hat er auch uns die welt nicht erklärt. mehr als "dummes gerede dummer leute" konnte man ihm nicht entlocken. auch meine mutter ließ ihre haltung nur in für uns kryptischen sprüchen durchscheinen: nun isses mal da, nun wolln wir's auch gerne haben.