Peer Wittenbols: Die Nymphen
(aus dem Niederländischen von Eva Maria Pieper und Simone Steinert, Broschüre nur im Rahmen des Festivals Neue Stücke aus Europa)
Vera, dreiundfünzig Sabine, fünfzig Doris, fünfundvierzig, lebt in Neuseeland Lisa, dreiundvierzig
S. 51 ff.:
Lisa ab
VERA: Die entschuldigt sich noch bei den Kartoffeln, bevor sie sie schält.
SABINE: Die entschuldigt sich noch bei Manfred, bevor sie unters Messer muss.
VERA: Die steht erst noch achtundvierzig Stunden in der Küche und kocht für zwei Wochen die Mahlzeiten und friert sie ein, bevor sie auf dem Fahrrad ins Krankenhaus fährt.
SABINE: Lisa ist keine Frau mehr, sondern Mutter. Armer Manfred. Verheiratet mit einer Mutter.
VERA: Das mag er eben, spotte nicht. Hör auf.
SABINE: Lieber einen Mann im Bett als einen Mann am Bett.
VERA: Hör auf, sage ich.
SABINE: Denk an dein Herz, so ungefährt das letzte nicht bedrohte Körperteil.
VERA: Nichts ist so peinlich wie ein Kranker, der glaubt, gemeine Witze über sich selbst machen zu müssen. Die Witze sind nur selten gut. Muss ich jetzt eine Pflichtnummer abziehen und laut lachen und meine Bewunderung über so viel Selbstspott und so viel Kraft, mit denen du dein Schicksal meisterst, hinausschreien?
SABINE: Ja.
VERA: Nein, was du machst ist viel schlimmer, du genießt aus vollen Zügen, was dir bevorsteht, und zwar so sehr, dass du mich nicht mehr brauchst.
SABINE: Hab ich das richtig verstanden, du willst gebraucht werden?
VERA: Nein, ich will nicht, dass du in deiner Krankheit schwelgst. Oder netter gesagt: Ich will dich nicht verlieren.
SABINE: Ich bin nicht dein Problem. Dein Problem ist dein verlassenes Haus.
VERA: Blöde Kuh.
SABINE: Ich bin verliebt!
VERA: Ach ja? Ach ja? Erklär mir mal, was ihn so interessant macht.
SABINE: Das Gesicht, das du jetzt ziehst. "Das kann sie nicht." "Das kann sie nicht."
VERA: Dann beweise das Gegenteil.
SABINE: Er kommt auf mich zu und er sagt: "Ich bin ein dicker, blasser Mann mit Herzrhythmusstörungen. Du bist eine nervöse Frau mit Nikotinsucht. Das könnte glatt eine perfekte Kombination sein." Ich sage: "Vielleicht habe ich einen unausstehlichen Charakter." Worauf er antwortet: "Ein hässlicher Kerl wie ich darf keine hochgespannten Erwartungen haben."
VERA: Und wie verdient er seinen Lebensunterhalt?
SABINE: Er sah aus wie jemand, der mit Computern arbeitet, und so war's auch. Ich sage zu ihm: "Warumwarumwarum sollte ich was anfangen mit einem Mann mit Herzrhythmusstörungen und Computern?" Er sagt: "Weil man mich letzte Woche durch die Leiste dilatiert hat." Und in der Nacht haben wir es ganz vorsichtig miteinander gemacht. Als es bei ihm dann-doch-noch geklappt hatte und ich dachte: Jetzt wird er vor Erleichterung wohl gleich flennen und das war's dann!, markierte er einen Herzanfall. Ich bekam einen Mordsschreck, weil ... weil er mir sofort fehlte.
VERA: Du spinnst ja.
SABINE: Deine Sache.
VERA: Eine flaue, sentimentale Geschichte.
SABINE: Ist es immer, wenn es um die Liebe geht.
VERA: Ich kann mir die Fratze nicht länger ansehen. Du bist so beeindruckt von deinen Gefühlen für diesen Kerl, dass du bereit bist Lisa sitzen zu lassen.
SABINE: Nein. So etwas habe ich noch nie im Leben gefühlt.
VERA: Weil du unerfahren bist. Lisa braucht dich jetzt mehr denn je. Mehr als mich. Sogar mehr als Manfred.
SABINE: Ich weiß. Ich sehe es. Aber ich muss.
VERA: Das bildest du dir ein.
SABINE: Du kennst ihn nicht.
VERA: Und wer sagt, dass er nicht nur seinem Schwanz gehorcht? Oder verzweifelt ist? Wenn das nicht sogar dasselbe ist.
SABINE: Er sagt es.
VERA: Du hast etwas Sonderbares an dir.
SABINE: Was denn?
VERA: Du hast dich sehr verändert.
SABINE: Freu dich für mich.
[natürlich kann sie sich nicht freuen, vera hat die OP erfolgreich überstanden, wurde danach von ihrem mann verlassen (die geliebte ist älter, dicker, dümmer als sie). lisa (verheiratet mit manfred, 2 kinder) steht die OP unmittelbar bevor, sabine begründet hier, warum sie sich trotz der diagnose nicht operieren lassen wird, was lisa wiederum noch nicht weiß.]