mit den besten empfehlungen
alle jahre wieder beschwert man sich: eltern missachten die empfehlung der grundschule und melden ihre kinder an gymnasien an. und dann schwallen die kommentatoren zum „neuen leistungsdenken“ und weisen die uneinsichtigen auf das risiko des versagens und der überforderung ihrer kinder hin. zu widersprechen ist dem grundsätzlich sicher nicht, aber wo bleibt der hauptaspekt? die eltern wissen nämlich ganz genau, dass sich an den hauptschulen eine art negativ-auslese wiederfindet. sie möchten ihrem kind in erster linie eine soziale umgebung ersparen, in der lehrer den großteil der unterrichtszeit mit ermahnungen, disziplinarmaßnahmen und dem ringen um elementarste umgangsformen verbringen müssen bzw. irgendwann resigniert auch über massive störungen hinwegsehen.
vor allem außerhalb des unterrichts ist die atmosphäre geprägt von gewalt, verwahrlosung auf allen ebenen, irgendwas zwischen sprachlicher verarmung und übelsten entgleisungen und - als folge dessen: angst. welcher denkende und fühlende mensch möchte das seinem kind zumuten: schon morgens angst vor dem schulweg, den pausen, dem heimweg... „das skateboard lasse ich wohl lieber zuhause?“, mit dem roccawear-sweat könnte man vielleicht eindruck schinden, es könnte einem aber auch eine unangenehme begegnung an der endhaltestelle einbringen... usw. usw. dann doch lieber (ggf. mit nachhilfe) die ersten jahre am gymnasium durchhalten, wenigstens bis zum ende der 7. klasse. mit etwas glück oder einer „ehrenrunde“ auch die 8. schaffen, vielleicht sogar die 9. noch. damit hätte man ein brauchbares abgangszeugnis. man könnte auch ein oder zwei jahre auf einer sogenannten privatschule (übrigens vom staat großzügig mitfinanziert) oder eben einer realschule dranhängen und hier den mittleren bildungsabschluss machen. das ergäbe - wenn die noten nicht allzu schlecht sind und sich die eltern noch ein bisschen einsetzen - wenigstens die chance auf einen halbwegs akzeptablen ausbildungsplatz.
natürlich sieht es mittlerweile auch an den gymnasien nicht besonders rosig aus: 33 schüler/innen in den eingangsklassen, davon sicher ein viertel für diese schulform nicht geeignet. die lehrer fachlich qualifiziert, pädagogisch aber nur unzureichend auf die veränderten bedingungen vorbereitet. immerhin: ein großteil der schüler aus einem vertrauten sozialen milieu. die anderen müssen sich halt anpassen, sonst gelten sie als fehl am platz und werden gemieden.
diese argumentation funktioniert an den hauptschulen nicht. sie sind das sammelbecken für die übriggebliebenen, für diejenigen, die keiner um sich haben möchte, für die kinder von eltern, die selber nicht wissen, wie sie klarkommen sollen. das ist tragisch und gesellschaftspolitisch eine bankrotterklärung. gewollt oder geduldet - das ist fast schon egal.
jedenfalls wird am ende weiter sortiert: da gibt's die hoffnungslosen fälle ohne abschluss und diejenigen mit abschluss. das kann bedeuten: „nur“ hauptschulabschluss oder eben der „erweiterte“, der „qualifizierte“, der dem „realschulabschluss gleichgestellte“ - oder was der formulierungen mehr sind. alles leute, die dann im besten falle an den berufsschulen ihre zweite chance bekommen, die sie aber nur allzu oft nicht nutzen können. junge menschen ohne ziele, ohne power, desillusioniert, auch ohne politisches bewusstsein. die nicht selten sogar zu ihren lehrern sagen: wozu geben Sie sich eigentlich eine solche mühe mit uns? "wozu" wissen diese oft selbst nicht, sie haben sich halt ein bisschen hoffnung bewahrt. hoffnung, dass sie irgendwas anschubsen könnten...
aber die eigenen kinder dem aussetzen? nur weil irgendeine grundschullehrerin - warum auch immer - die gymnasial-empfehlung verweigert? das kommt nicht infrage. ob die (kinderlose?) journaille nun politisch korrekt in der gegend herumschwadroniert oder nicht. papier ist geduldig. zu geduldig. und noch haben wir ja die "freie" schulwahl.